Rainer Noltenius über Davoud Sarfaraz

Davoud Sarfaraz:
Künstler eines „Ost-westlichen Divans“

Oder: Der Kuss auf den wachen Nerv

Goethe hat – sich persische Dichtung anverwandelnd- die Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ geschrieben. Von Davoud Sarfaraz lässt sich sagen, dass er einen „Ost-westlichen Divan“ ermalt hat. Sarfaraz´ Ausstellung und dieses Buch erscheinen zu einem Zeitpunkt, zu dem die islamischen Länder des Nahen Ostens und ihre Menschen bei uns im „Westen“ dem Generalverdacht des Dogmatismus, der Gewaltausübung in Selbstmord-Attentaten und Bürgerkriegen, alles in allem aber der Unfähigkeit zum Dialog mit anderen Kulturen ausgesetzt sind.

Umso beglückender ist es, dass nach Goethe im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts mit seiner leidenschaftlichen Adaption persischer Dichtung (besonders Hafis´) nun umgekehrt im 21. Jahrhundert ein persischer Künstler, ohne seine eigenen Wurzeln zu verleugnen, sich in seiner Weise die westliche Kunst der Moderne zu eigen macht und damit eine Synthese zwischen Ost und West schafft.

In einem Interview sagt er als einer, der nach 32 Jahren im Iran nun 29 Jahre in Deutschland gelebt hat: „Integration ist nicht Anpassung. Anpassung bedeutet Verlust der kulturellen Wurzeln, `Ich werde jetzt deutsch´ ist keine richtige Integration.“ Und er betont, dass große Teile der Inhalte seiner Bilder der iranischen Kultur entstammen, während seine bildnerische Sprache westlich sei. Dadurch, dass seine Bilder sowohl modern als auch fremdartig wirkten, komme es zwischen ihm als Iraner und den europäischen Betrachtern seiner Bilder zu einem kreativen Kulturaustausch und damit zu einer echten Integration (s. S. ) und ich würde deuten zu einer Integration nicht nur von ihm als iranischem Künstler in den Westen, sondern auch der westlichen Betrachter in den Reichtum der iranischen Kultur.

Nun aber zu Davoud Sarfaraz selber!
Davoud Sarfaraz wurde 1954 in Teheran/Iran geboren.
Nachdem er 1972 Abitur gemacht hatte, wurde er 1973 als 19jähriger unter der Schah-Regierung eingezogen und musste als 20jähriger am Krieg gegen den Irak teilnehmen.
1976 begann er ein Studium an der Kunstakademie Teheran.
Während und nach seinem Studium war er berufstätig: Beim iranischen Fernsehen arbeitete er als Illustrator für Kinder-Fernsehsendungen.
Außerdem war er Werbegrafiker und trat mit „Kunst am Bau“ hervor.
1979 heiratete er. Aus seiner Ehe gingen zwei Söhne hervor.

1986 gelang ihm die Emigration nach Deutschland mit seiner Frau und den beiden Kindern.
Bis 1995 lebte er mit seiner Familie in Bochum.
Seit 1995 ist er in Dortmund heimisch geworden, wo er einer Berufstätigkeit nachgeht, die seine Familie und ihn ernährt und es ihm möglich macht, sich jeweils die Hälfte eines Tages seiner Kunst widmen zu können.

Bisherige Ausstellungen:

1978-85: Einzel- und Gruppenausstellungen in Teheran, die ihn zu einem der anerkanntesten modernen Künstler des Iran machen.

1988-heute: Einzel- und Gruppenausstellungen an der Ruhr-Universität Bochum, im Museum Bochum, in Erlangen, in Dortmund im Torhaus am Rombergpark und Einzelausstellungen in Bochum und Berlin. …

Zur jetzigen Ausstellung in Dortmund (2015):

Gezeigt werden über … Werke aus seiner Zeit in Deutschland, also aus den letzten 29 Jahren: Ölgemälde, Acryl, Mischtechniken und Zeichnungen.

Vier Phasen in Sarfaraz´ Werk

Zwischen 1989 und 2015 fallen vier deutlich unterscheidbare Phasen im malerischen Werk von Davoud Sarfaraz auf.

Die Bilder seit 1989

Das älteste Bild dieser Ausstellung stammt aus dem Jahr 1989. Des Künstlers Ausreise aus dem Iran liegt damals erst 2 Jahre zurück. Die eindrucksvolle Farbstudie ist noch realistisch, wenn auch stark abstrahiert. Sie stellt einen iranischen Dorfplatz dar mit zwei Figuren, darunter einem Jungen der auf sein viel zu großes Fahrrad mit langen staksigen Beinen und Armen – verkehrt herum über die Lenkerseite – aufzusteigen versucht.

In diesen ersten Jahren entstehen auch die grafischen Blätter, auf denen er mit zarten Linien in größter Einfachheit kraftvolle Werke schafft, wie z.B. das Blatt „Stille“: Am unteren Bildrand eine angedeutete Mauer darüber die Konturen von Erd-Lehm-Häusern eines iranischen Dorfes. Über ihnen liegt eine Wolke wie ein Stein. Trotz der Schwere strahlt das Bild ein sanftes Gleichgewicht aus.

Mitte der 90er Jahre

Die Bilder dieser ersten Jahre sind noch gegenständlich erkennbare Erinnerungen an die verlassene Heimat, gesättigt von Vielfarbigkeit. Das ändert sich jetzt in den 90er Jahren: Dunkle Töne, besonders ein tiefes Blau aber auch andere dunkle Farben herrschen vor und die Bilder werden weitgehend abstrakt. Sarfaraz hat begonnen, in einer gänzlich neuen Art zu malen.

Die – jetzt oft recht große – Leinwand ist mit einer Farbschicht z.B. mit einem Aquamarinblau in verschiedenen hell-dunkel-Schattierungen überzogen. Allerdings lässt der Maler an einigen wenigen Stellen, die man Fenster nennen könnte, den Blick frei auf eine erste, vorher gemalte, Schicht. Diese Fenster auf den Untergrund, haben die Form von Rechtecken von stark abstrahierten menschlichen Figuren, von Symbolen oder unbekannten Wesen.

Ein im Museum Bochum ausgestelltes Bild mit dem Titel: „Erster Blick in Deutschland“ zeigt Fenster in Form eines Halbmondes ein anderes in Form einer halben menschlichen Figur und an einer Stelle ist die Übermalung mit blau nur so zart aufgetragen, dass die darunter liegende Farbschicht durchschimmert.

Davoud Sarfaraz erzählt selber von diesen Bildern: „In dieser Zeit waren meine Bilder sehr melancholisch. Da kam ich an meine Ängste, Traurigkeiten, bitteren Erinnerungen.“

Späte 90erJahren bis 2005

Jetzt kehrte eine starke Farbigkeit ins Werk von Davoud Sarfaraz zurück, aber in eine neue malerische Welt. Auch jetzt noch bestehen manche Werke aus zwei Schichten. Aber nun wird die erste Schicht nicht mehr an den meisten Stellen übermalt, sodass sie nur noch durch die wenigen Fenster zu sehen ist. Vielmehr: Auf die erste Schicht wird die zweite von ihm so darauf gesetzt, dass der gesamte Hintergrund mit seiner eigenen Atmosphäre, die obere Schicht prägend, hindurchschimmert. So erscheinen z.B. Vögel, Bäume, menschliche Figuren, Widderhörner, kleine Häuser, ein weibliches Portrait zu bunten Kaleidoskopen zusammengefügt. Was früher streng getrennt war, die untere und die obere Schicht des Gemäldes, ist nun ineinander integriert, verwoben zu einem einzigen Bildgewebe!

Die Bilder seit 2005

Cirka 2005 beginnt eine neue Phase seiner Malerei. Die Farbigkeit ist geblieben, aber die Zeichen und Symbole, die geheimnisvollen Fabelwesen aus dem Tier-, Pflanzen- und Menschen-Reich einer mythologischen Vorgeschichte sind verschwunden. Und wenn es noch lebendige Wesen gibt, sind sie vollständig in die Struktur der Malweise des Untergrunds integriert. Ein Beispiel. Das Gemälde „Das Gespräch“ (2006) zeigt vier Gestalten, möglicherweise Frauen, wovon jede nur aus einem pastos aufgetragenem senkrechten und einem für die ausgebreiteten Arme ebenso pastos ohne abgezirkelten Umriss aufgetragenen waagerechten Strich bestehen. Man ahnt ihr Gespräch untereinander und mit der Natur. Die für die Natur konturenlos aufgetragenen Farben blau und weiß stehen als Chiffren für den Himmel, braun, gelb, rot und violett für die umgebende Erde mit dem, was auf ihr wachsen mag.

Vollständig gegenstandslos gemalt ist das Bild „Die Wüste träumt“. Im ockerfarbigen Untergrund ahnt man den Wüstensand. Darauf ein angedeutetes Quadrat in türkis und blau, das wie eine Fata Morgana aufleuchtet.

Mit anderen Worten: Davoud Sarfaraz´ Bilder werden zwar immer abstrakter, ihre stets poetischen Titel sagen aber jedem Betrachter, auch dem, der es nicht schon aus der Farbigkeit und konzentrierten Komposition erkennen kann:
Sie sind mehr als bloße Dekoration. Sarfaraz schreibt der Kunst die Aufgabe zu, uns ein Fenster in die Freiheit zu öffnen. Die Betrachter der Kunst nennt er „Reisende“ („Reisende werden wir an ihrer Seite“). Die Kunst soll seiner Meinung nach „magisch und fremd zugleich“ sein (Safaraz auf dem Prospekt zu seiner Ausstellung 2006 in Dortmund).

Und tatsächlich: Warum reisen wir Menschen der Gegenwart so gerne in fernste Gegenden unseres Erdballs? Wir wollen wenigstens einmal im Jahr das Gewohnte verlassen und das Fremde kennen lernen! Oft wirkt dieses Fremde dann magisch auf uns: Wir erleben uns selber plötzlich wie in einem anderen Rahmen, entdecken neue Seiten, die bei uns jahrelang verdeckt waren und durch das Fremde auf- und angeregt werden!

So sieht Davoud Sarfaraz die Aufgabe der Kunst: Sie soll uns aus der Begrenztheit von Gewohnheiten, Religionen und Doktrinen befreien.
Er geht davon aus, dass unsere Alltagswirklichkeit mit ihrem Stress, ihrem Zeitmangel, ihren Konsumzwängen und den Bergen überflüssiger Information uns fast ersticken lässt. In dieser Situation soll die Kunst uns die Chance geben, innezuhalten. Wir erleben dann einen Moment der Stille. Davoud Sarfaraz beschreibt, dass „der Kern der Malerei, der Kunst überhaupt, das Erleben der Freiheit (ist). Für mich bedeutet das mit der `Leere´ anzufangen. Da gibt es keine Vorstellungen, keine Gedanken, kein Gefängnis von bildnerischen Informationen und Elementen. Ich möchte auch nicht malen, sondern gemalt werden. Ich werfe Farben aufeinander und verfolge dieses Aufeinander- und Nebeneinander-Leben als Zeuge – nicht als Künstler. … Ja, die Seele wird gebadet, wie der Körper im Bad.“

Vielleicht könnte man das als „Flow“ beschreiben, wenn der Künstler auf den wachen Nerv seines Innersten stößt und nun – wie jenseits von Raum und Zeit und befreit von der Trennung von Subjekt Künstler und innerer und äußerer Welt – „gemalt wird“.

Dadurch können auch wir Betrachter seiner Bilder eine in uns selbst verschüttete Freiheit wiederentdecken. Das macht uns möglich, Fremdheit und die Unterschiedlichkeit der Kulturen, auch als eigenen Reichtum wahrzunehmen.

( © Prof. Dr. Rainer Noltenius, Am Hollerfleet 1, 28355 Bremen )