Warum ein Interview mit Davoud Sarfaraz
Ich habe die letzten Ausstellungen von Davoud Sarfaraz besucht und ihn dann auch persönlich kennengelernt.
Mich hat fasziniert, hinter der Fremdheit seiner Bilder etwas zutiefst Bekanntes zu entdecken, nämlich Grenzüberschreitung und Sehnsucht nach neuer Beheimatung.
In unseren Gesprächen entdeckte ich einen Menschen von heute, einen Wanderer zwischen den Welten, der immer neu darum ringt, dass Denken, Fühlen und künstlerischer Ausdruck eine Einheit bilden.
Vieles, was ich nur in der oft zu rationalen Sprache der westlichen Kultur erfassen und ausdrücken konnte, hat durch ihn eine bereichernde Perspektive erfahren.
Darum war ein Interview mit ihm für mich eine spannende Angelegenheit.
Davoud Sarfaraz im Interview mit Dr. phil. Helga Janzen
H. Welche Wirkung möchtest du bei den Menschen durch das Betrachten deiner Bilder erreichen?
D. Mein erstes Ziel ist, dass ich mich selbst durch Kunst erreichen möchte. Wenn ich wirklich bei dem wachen Nerv meines Persönlichkeitszentrums ankomme, dann bin ich ziemlich sicher, dass ich auf jedem Fall mit dem Betrachter meiner Bilder in Verbindung komme. Im Persischen gibt es ein Sprichwort: „Was vom Herzen kommt, geht zum Herz.“ In diesem Fall können die Betrachter für ihre eigene Entwicklung angeregt werden.
Vom Vorgang des Malens
H. Was muss geschehen, damit du malen kannst?
D. Um bei der Malerei anzukommen, muss man sich vom Alltag trennen. Die erste Stufe hat etwas von der Aufwärmphase bei einem Sportler. Man sieht sich als bewegliches Wesen. Man kann in die Vergangenheit reisen und bei verschiedenen Erinnerungen ankommen. Man kommt auch wie automatisch mit allem, was man vom Alltag mitgenommen hat, in Verbindung. Die zweite Stufe bedeutet den Beginn der Freiheit. Man kann Gedanken, die nicht mit den eigenen übereinstimmen, zur Seite legen. Man erlebt den eigenen Körper, die Seele, Gedanken und Gefühle. Man erkennt die eigene Stimme, die eigene Individualität und die Tatsache, dass man zwischen Milliarden von Menschen irgendetwas hat, das die anderen nicht haben.
H. Ist es das Erleben von Freiheit, das dich zum Malen befähigt?
D. Nach meiner Auffassung ist der Kern der Malerei, der Kunst überhaupt, das Erleben von Freiheit. Für mich bedeutet das, mit der „Leere“ anzufangen. Da gibt es keine Vorstellungen, keine Gedanken, kein Gefängnis von bildnerischen Informationen und Elementen. Ich möchte auch nicht malen, sondern gemalt werden. Ich werfe Farben aufeinander und verfolge dieses Aufeinander- und Nebeneinander-Leben der Farben als Zeuge – und nicht als Künstler -, der schaut, wie sich das weiter entwickelt. Und jeder Flecken Farbe hat für sich etwas Seelisches. Ja, die Seele wird gebadet, wie der Körper im Bad.
H. Wie aber entsteht aus diesen Anfängen ein Bild?
D. Wenn man in dieser Phase etwas erkennt, ein Element, eine Figur, etwas, das mit dem eigenen tiefen Inneren zu tun hat, dann fühlt man die Notwendigkeit der Äußerung. Denn die totale Freiheit erlebt man, um sich bildnerisch weiter zu zeigen, um zu einem objektiven Ergebnis zu kommen.
Erst das Vergessen, dann das Gestalten – ein Künstler gleicht dem Phönix aus der Asche.
Das Fremde in der Kunst
H. Du sprichst oft davon, dass Fremdsein für dich ein wichtiger Aspekt in der Kunst ist.
D. Wenn man von Anfang an unbedingt eine bestimmte Idee oder eine feste Vorstellung in der Malerei verwirklichen möchte, dann trifft man keinen wachen Nerv. Mit der direkten oder indirekten Kopie der Schönheitsideale anderer Maler kommt man in keinem Fall an sein eigenes „Ich“.
Man muss verstehen, dass jede Kunst im Laufe der Zeit eine Grenze hat. Sie geht zur Seite. Die Menschen, hier die Betrachter, je nach ihren eigenen künstlerischen Bedürfnissen, wollen eine bestimmte Art nicht mehr (das gilt für jede Kunst). Der Künstler muss sich damit beschäftigen und er muss Bescheid wissen, wie er sich vom Einfluss alter Kunst befreien kann. Man kämpft mit seinen Gewohnheiten in der Kunst, versucht, sie zur Seite zu legen. So bleibt die Kunst lebendig. Fremd sein ist ein wichtiger Aspekt für mich: Kunst schaffen, die es bisher noch nicht gab.
Ein Bild ist tatsächlich lebendig, neu und damit auch fremd, wenn der Künstler selbst sich darüber wundern kann. Das Sich-Wundern-Können über das eigene Bild ist auch der Beweis dafür, dass es fertig ist.
Für mich begann die Befreiung von Vorbildern mit einem Schock. Ich zeigte einem Professor in einem musischen Zentrum Fotos von einigen meiner Bilder aus dem Iran. „Du bist beeinflusst von van Gogh usw. – wo bist du selbst?“
Das war für mich der Beginn einer Phase, alles Gelernte zu vergessen. Vergessenheit ist eine schwierige Sache. Zwei, drei Jahre machte ich keine Ausstellungen. Ich habe auch keine Ausstellungen und Kataloge angesehen. Ich versuchte, bei mir selbst anzukommen und war gnadenlos zu mir selbst. Ständig fragte ich mich: Wann ist mein Bild vollendet? Wenn ich Eindruck hatte, beeinflusst zu sein, z. B. Von Chagall, wurde das Bild übermalt. In dieser Zeit waren meine Bilder sehr melancholisch. Da kam ich an meine Ängste, Traurigkeiten, bitteren Erinnerungen, die sehr tief waren. Davon wollte ich mich befreien.
Ich benutzte blaue Farbe, eine Mischung von mehreren Farben.
Dennoch bin ich beeinflusst, und zwar von der zeitgenössischen bildnerischen Sprache des Westens. Der Kern der Malerei ist das Erleben von Freiheit.
Über die Freiheit
H. Freiheit ist offensichtlich ein wesentliches Element deines Lebens.
D. Das stimmt. Ich erlebe sie in meiner Innenwelt und in der Kunst. Der Alltag hingegen ist von vielen Notwendigkeiten und Zwängen bestimmt. Im Iran war es der politische Druck. In Deutschland ist es die Bürokratie: Behörden, Anträge und Vorschriften für alles und jedes. Dazu kommt Zeitmangel, Sorge, Stress und Hektik, die den Menschen in Gefahr bringen. Das alles erlebe ich, denn ich lebe nicht am Rande der Gesellschaft. Ich habe einen harten Alltag, und im Alltag ist man oft unter Druck. Dann entsteht Wut, weil man nicht bei seinem wahren „Ich“ ist. Gelingt es aber – wie ich es beschrieben habe – sich vom Alltag zu trennen und bei seinem wahren Selbst anzukommen, dann erlebt man Freiheit. Man befreit sich mit Kunst. Man wird reiner und natürlicher. Diese reine und natürliche Einheit benutzt man, um seine Fähigkeiten weiter zu entwickeln.
Über Integration
H. Davoud, du bist ein Wanderer zwischen der Innen- und Außenwelt aber auch zwischen der iranischen und deutschen Kultur.
D. Für mich ist es wichtig, dass Körper, Augen, Herz und Gedanken zu einer natürlichen Einheit kommen. Kunst hat mit dieser Einheit zu tun. Sie ist nicht nur etwas Dekoratives. Sie muss in Körper und Seele funktionieren. Und sie muss die im Alltag und von der Gesellschaft geforderte Person mit der inneren Welt und dem wahren Selbst verbinden. Wenn man bei der eigenen Natur ankommt, werden feine seelische Zustände erkennbar – je feiner, desto wertvoller auch für die Gesellschaft. Zur Integration von Innen und Außen gehört auch, dass der Künstler sich Alltag bewährt. Kunst und Alltag kommen im Inneren zusammen.
Ein anderer Aspekt von Integration zeigt sich in meiner Malerei. Meine bildnerische Sprache ist zeitgenössisch westlich, große Teile meiner Inhalte entstammen der iranischen Welt und Kultur. Darum wirken meine Bilder sowohl modern als auch fremdartig. Das kann europäische Betrachter bereichern. Durch Diskussionen und Gespräche darüber kann es zu einem Kulturaustausch kommen. Ein solcher Austausch fördert echte Integration. Denn Integration ist nicht Anpassung. Anpassung bedeutet Verlust der kulturellen Wurzeln und des eigenen Wesens. „Ich werde jetzt deutsch“, das ist keine richtige Integration. Natürlich gelten für Migranten und Deutsche die gleichen Gesetze. Aber gegenseitiges Verständnis entsteht durch Kommunikation. Das geschieht im Bereich der Kunst aber auch im Alltag.
Über die Bedeutung der Kunst
H. Kunst existiert für dich nicht in einer Sonderwelt, sondern hat vielfältige Bezüge zum gesellschaftlichen Leben.
D. Kunst hat im Körper und in der Seele eine Funktion. Sie ermöglicht es, sich als freies Wesen zu erleben, und das ist in erster Linie ein spirituelles Erlebnis. Dabei geht es nicht um eine bestimmte Religion, sondern um einen freien, sich stetig verändernden und weiter entwickelnden Prozess, der um die Sinnfragen des Lebens kreist. Ein allgemeines Ziel von Kunst war immer, die Einheit von Gefühlen und Gedanken im Menschen zu fördern, eine Einheit, die Stärke bringt. Kunst formt Hoffnungen, Beziehungen und die zeitgenössische Moral. Kunst fördert Lebenskunst. Sie ist ein Bad für die Seele. Kunst ist der wichtigste Faktor für eine Integration von Innen und Außen. Und sie ermöglicht die Durchdringung östlicher und westlicher Symbolwelten.
Ich stamme aus einer kleinen Stadt am Rande der Wüste. Dort kann man die Sterne erleben, wie nirgends sonst. Ein Weintraubengarten sind die Sterne. Jeder Stern ist Antrieb für viele Gedanken, Philosophie und Spiritualität. Der Herr da oben, die Erde hier unten. Indirekt und intuitiv zeigt sich die Wirklichkeit der Wüste in meinen Bildern. Z. B. Benutze ich für ein Bild nur eine Farbe, die einen großen Teil der Oberfläche bedeckt. Das symbolisiert für mich die tiefe Ruhe, die man in der Wüste erlebt.
Über das Verhältnis von Intuition und Wissen
H. Du betonst einerseits die Bedeutung der Intuition für den kreativen Ausdruck in der Malerei, andererseits aber auch die Bedeutung von Nachdenken und Wissen, z. B. Über Kunstepochen.
D. Man muss verstehen, dass die Kunst im Laufe der Zeit eine Grenze hat. Irgendwann geht sie zur Seite. Die Menschen wollen dann eine bestimmte Art nicht mehr. Das ist ein Bereich von Wissen. Der Künstler muss sich damit beschäftigen. Er muss Bescheid wissen, wie er sich vom Einfluss alter Kunst befreien und eine neue künstlerische Schönheit und Beurteilung geben kann.
Die heutige Kunstszene, die zeitgenössische Kunst, zeigt nach meiner Meinung die Menschheit auf dem Weg zu ihrer Vertiefung. Trotz all der Katastrophen, die man im Weltgeschehen sieht: Politik, Krieg und schmerzliche Sachen geht die Vertiefung durch die zeitgenössische Kunst weiter.
H. Davoud, ich danke dir für dieses Gespräch.